Etappe 15 zu den Zisterziensern von Salem

In Salem sollte man ein Pferd sein.
Ihnen ging es besser als Mönchen.

21. Juli, 10.00 Uhr: Der Geburtstag von Rosmarie startet spazierend auf der schönen Uferpromenade von Überlingen. Dabei geniessen wir den Blick auf den Bodensee, bevor wir ihn für 30 Stunden verlassen. Ausserhalb des Stadtgebietes, in Deisendorf, geht unsere Wanderung weiter. Ziel sind Kloster und Schloss Salem. Der Weg führt über Land, durch grosse Wälder und an kleinen Seen vorbei, angenehm und erholsam. Beim Affenberg, touristisches Highlight für kleine und grosse Zoofans, queren wir einen unendlich grossen Parkplatz. Und schon hat uns die Stille des Waldes wieder. Wir sind allein unterwegs – ausser im Vogelschutzgebiet der Salemer Klösterweiher. Da wimmelt es von jungen Schwänen, Enten und Taucherli. Fische sehen wir keine, und das U-Boot macht heute keine Publikumsfahrten. Auf den Wegweisern zum Schloss Salem wird die Distanz dorthin immer kürzer. So wählen die Wanderschuhe ein paar Umwege. Wir verlassen den ausgeschilderten Prälatenweg, morgen wird er uns in umgekehrter Richtung direkt zur Wallfahrtskirche Birnau leiten. Schliesslich bringt uns die Salemer Ach zu unserem Endpunkt, sie führt mitten durch den Schloss- und Klosterbezirk hindurch.

Der Zimmerbezug im historischen Markgräflich Badischen Gasthof Schwanen produziert klösterliche Gefühle. Hier funktioniert das WLAN oft schlecht. Doch der Chef des Hauses hilft uns freundlich weiter, leider ohne Erfolg. Ich kann den Blog erst morgen veröffentlichen. Leser:innen des Online-Magazins Bodensee haben heute Pech, keine Neuigkeiten. Ich muss mir bewusst machen, dass das Motto der Benediktiner:innen und ihres Reformordens der Zisterzienser:innen ja „ora et labora“ (bete und arbeite) heisst und nicht „trinke Bier und blogge“… Also schliessen wir uns einer Führung durch die ehemalige Prälatur an. Den Kern der Salemer Anlage bilden imposante Prälatur- und Konventgebäude. Sie wurden ab 1697 nach einem verheerenden Brand von Baumeister Franz Beer in barockem Stil wieder aufgebaut. In der Prälatur, in der Residenz der Äbte, sehen Gäste wie wir in einen Innenhof mit zwei Mammutbäumen hinaus. Wir betreten die Rokoko-Bibliothek, die 40‘000 Bücher querbeet durch alle Gattungen umfasst (der Raum gehört heute dem Kreiskultur-Archiv des Bodenseekreises und ist noch nicht renoviert). Wir werden im Audienzzimmer empfangen, werfen einen Blick ins Schlafzimmer des Abtes, durchqueren die Privatkapelle und das Münzkabinett, in dem wichtige Verhandlungen stattfanden, in denen Geld und Macht die grösste Rolle spielten. (Wovon das Zisterzienserkloster Salem in seiner Geschichte lebte und wie es zu Geld und Einfluss kam, lesen Sie in der Rubrik Orte). Das Schlussbouquet unserer Führung bildet der prunkvolle Kaisersaal. Er war 100 Jahre „in Betrieb“, doch Ironie der Geschichte: kein einziger Kaiser hat ihn je betreten. Trotzdem schmücken „Portraits“ von Kaisern und Päpsten, die dem Kloster wohlgesinnt waren, den Kaisersaal. Auch Papst Martin V. ist vertreten, der 1417 auf dem Konstanzer Konzil ganz in der Nähe von Salem zum Papst gewählt wurde. Nach der Führung besuchen wir das Münster nebenan, auch dazu mehr unter Orte. Im Marstall befindet sich der repräsentative Pferdestall, 1734 für die Kutsch- und Reitpferde des Abtes errichtet. Es ist einer der schönsten barocken Reitställe Deutschlands. Er blieb bis heute in seiner ursprünglichen Ausstattung erhalten. Unsere Führerin in der Prälatur meinte ohne Ironie und ganz realistisch, dass es Pferde in Salem besser hatten als die Mönche in ihrer Klausur.

Rosmarie hat es beim Nachtessen im „Schwanen“ ebenfalls besser als ein Mönch oder eine Nonne. Wir stossen mit ausgezeichnetem Rosé von der Birnau auf ihr langes Leben an. Zum Wohl! Morgen, das heisst, leicht verrwirlich, heute werden wir dort auf unserer „Wallfahrt“ ankommen.

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Etappe 14 auf dem SeeGang

6000 Jahre Kulturgeschichte im See
oder Lust auf ein dunkles Weizenbier

20. Juli, 10.10 Uhr: Endlich! Endlich kommen die Wanderschuhe wieder auf ihre Rechnung. Obwohl nochmals ein heisser Tag angesagt wird und abends Gewitter aufziehen sollen, wagen wir die Fortsetzung unserer Wanderung um den Bodensee. Bodman ist jedoch nicht Ausgangspunkt. Zwei Stunden wandern schenken wir uns, der Hitze geschuldet. Der Weg bis Sipplingen wäre um das Westende des Bodensees herum voll in der Sonne verlaufen. So lassen wir uns vom Bus bis Ludwigshafen bewegen und von der S-Bahn bis Sipplingen. Dem 9-Euro-Ticket sei Dank! Dafür verpassen wir zwei sechstausend Jahre alte Kulthäuser – oder was davon übrig blieb. Sie standen in Pfahlbausiedlungen in Ludwigshafen und bei Sipplingen. Archäologen entdeckten unzählige Einzelstückchen zwischen 1990 bis 1992 auf dem Seegrund. Barbara Hutzl-Ronge beschreibt in ihrem Buch „Magischer Bodensee“, was es über Kultbauten zu erzählen gibt. Schon Menschen in der sogenannten Steinzeit haben hart und innovativ gearbeitet. Aus dem Jahr 3861 v. Chr. stammt laut Bestimmung ein Holzpfosten der Siedlung im Wasser. Zudem fanden Archäologen Wandstücke, die wie weibliche Brüste geformt waren. Rekonstruierte Gestalten haben Ähnlichkeiten mit jüngeren Dolmengöttinen bei Paris, in der Bretagne und von Lutry am Genfersee. Darum werden die Funde in Ludwigshafen als „Busenhaus“ identifiziert, wohl einer Muttergöttin gewidmet oder Frauen in Gebärhaltung, bei denen es um Mutterschaft geht. In der Uferzone von Sipplingen können im Lauf der Zeit an die zwanzig Pfahlbausiedlungen ausgemacht werden, der grösste Pfahlbaukomplex am Bodensee! In der Siedlung von Arbon-Bleiche wurden zudem die schönsten Funde von Bukranien gemacht. Es braucht noch viel Forschungsarbeit zu diesen Themen aus alten Zeiten.

Wir steigen in Sipplingen aus dem Zug und direkt auf den Zugangsweg ab Bahnhof durchs Dorf hinauf zum SeeGang in der Höhe. Oben am Sipplinger Berg befindet sich eine Einrichtung der Bodensee-Wasserversorgung. Das abgezapfte Wasser wird als reinstes Trinkwasser von hier bis in die Region Stuttgart geleitet! Auf dem Torkelbühl erwartet uns eine grossartige Aussicht über den Bodensee inklusive Überlingersee, auch wenn es heute diesig ist. An klaren Tagen, so erzählt uns ein Einheimischer, zu dem wir uns auf dem Bänkli gesellen, sieht man bis zum Trio Eiger – Mönch – Jungfrau und zur Blüemlisalp, auch zur Zugspitze und in die Vorarlberger Berge. Selbstverständlich würde man hier oben auch zum Alpstein sehen. Weiter unten kommen wir am Schloss Spetzgart vorbei, es gehört zum berühmten Eliteinternat Salem und beinhaltet kein Restaurant für durstige Wandersleute. Dafür geniessen wir den Schatten hinab ins Spetzgarter Tobel. Auf dem letzten weiten Aussichtspunkt auf dem tollen Premiumweg SeeGang – er nennt sich Eglisbohl – trinken wir das letzte Wasser aus dem Rucksack. Bald empfängt uns die Hitze auf 400 m über Meer. Zielgerichtet peilen wir ein Restaurant mit Tischen am Seeufer von Überlingen an: Bier im grossen Glas und eine kühlende Glacé müssen jetzt sein. Und die Tourismusindustrie hat uns wieder nach einem einsamen Tag unterwegs mit schönsten Ausblicken auf Überlingersee und Obersee sowie auf den langgezogenen Bodanrück gegenüber. Gestern habe ich den Premiumweg dort drüben ausgelassen. Heute weichen im Hotel Wanderschuhe wieder von unseren müden Füssen. Endlich!

PS: Das Gewitter beginnt in Überlingen um 19.05 Uhr. Rund um den See läuft die Sturmwarnung bis in den späten Abend hinein.

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Etappe 13 mit ÖV nach Bodman

Menschen denken
Hitzewellen lenken

19. Juli, 12.06 Uhr: Bus 105 fährt um 12.06 auf der anderen Strassenseite ab – ich hingegen stehe bei der richtigen Haltestelle gegenüber, direkt bei Fahrplan und Wartehäuschen. Als ich aus der S-Bahn in Ludwigshafen (Bodensee) stieg, ist der Bus im Schatten weder angeschrieben noch mit Chauffeur besetzt. Für mich ein klarer Fall. Doch was zählt meine naive Vorstellung? Eben. Der nächste Bus nach Bodman kommt in einer Stunde. Was tun? Weit und breit kein Restaurant. Endlich gibt’s Proviant aus dem Rucksack.

Die 13. Etappe wird immer surrealer. Ist die 13 nicht eine … stopp. Gestern noch wollte ich heute ab Konstanz-Wallhausen ca. 17 km nach Bodman wandern. Vorgestern dachte ich sogar, das ganze Wegstück von Konstanz (Bahnhof) nach Bodman zu Fuss zu gehen, rund 35 km. Die Route von Konstanz nach Überlingen gilt nämlich als zertifizierter (!) Premiumwanderweg. Sein Name: SeeGang. Ich habe mir den SeeGang auf Papier ausgedruckt, inklusive detaillierter Erklärungen. Laut Beschrieb ein wunderschöner Weg dem Überlingersee entlang, viel im Wald, viel auf und ab, manchmal direkt am Wasser. Weil Rosmarie heute nicht mitwandert – sie fuhr heute Morgen früh nach Bern zur Beerdigung eines Freundes und vertritt auch mich – wollte ich in sportlichem Tempo unterwegs sein. Doch der 19. Juli verspricht Rekord verdächtige Temperaturen weit über 33 Grad. Soll ich bei dieser Hitze während Stunden einen voll bepackten Rucksack über den Bodanrück schleppen? Eine rhetorische Frage für einen 70-jährigen. Und dennoch: mit dem 9-Euro-Ticket für den Monat Juli im Sack kommt mir die Wegstrecke von Konstanz via Radolfszell nach Ludwigshafen im ÖV komisch vor. Innerlich bin ich hässig. Vom Zug aus sehe ich Orte, Kirchen und die Reichenau in der Bodenseelandschaft, die wir vor drei Monaten zu Fuss besuchten. Jetzt rauschen sie unerbittlich rasch vorbei. Augen und Seele kommen nicht nach mit Schauen und Erinnern. Eine surreale Situation, ich wiederhole mich. Das mag ich überhaupt nicht. Dazu fährt Bus 105 erst noch auf der „falschen“ (Schatten-)Seite vor meiner Nase ab. Frechheit? Dummheit? Halt zu Fuss nach Bodman? Wieder rhetorisch gefragt. Nie rückwärts, stets vorwärts um den See im Uhrzeigersinn. Dazu kommt, dass wir morgen Mittwoch wahrscheinlich von Bodman via Ludwigshafen auf dem SeeGang nach Überlingen weiterziehen – falls die Temperatur weniger anzeigen sollte als heute. Der Entscheid wird morgen früh fallen – oder bereits heute Abend spät?

Der Bus, der um 13.01 ab Ludwigshafen fährt, hält auf der richtigen Strassenseite. Schnell steige ich ein und komme erst noch via Stockach zu einer unerwarteten Zusatzschlaufe im Landesinnern. Um 13.40 erreiche ich, jetzt entspannt, meinen heutigen Zielort: Bodman, Namensgeberin für den Bodensee. Warum das so ist, kann in der Rubrik Orte nachgelesen werden. Aktuell zählt Bodman 1500 Einwohner:innen und ist Ortsteil der Gemeinde Bodman-Ludwigshafen. Unser Gasthaus liegt neben Bushaltestelle und Hafen direkt am See. Tourismus bestimmt den Alltag. Hierhin wollte ich seit längerer Zeit einmal kommen. Jetzt ist es eine Première. Heute Morgen aufgestanden in der grössten Stadt am See, die ihm Namen wie Lac de Constance, Lago di Costanza oder Lake of Constance verlieh. Heute Nacht zu Bett gehen in einer kleinen Gemeinde mit grosser Geschichte. Bodman am Bodensee, ganz im Westen jenes Teils, der Überlingersee genannt wird. Und morgen gehen wir, versprochen, bis Überlingen.

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Etappe 12b in der Stadt Konstanz

Gib dem Zufall eine Chance.
Ohne Zu-Fall keine Erzählung.

18. Juli, 11.50 Uhr: Zuerst sitzt meine Schwester im Mittelpunkt. Susanne feiert heute Geburtstag, wie immer einen Tag nach mir. In Konstanz am Bodensee treffen wir uns ganz nahe am Wasser. Wir – auch mein und ihr Bruder Kurt mit seiner Frau Charlotte sind dabei, Silvia, eine Freundin aus Kindertagen und Rosmarie – stossen mit Apérol spitz an: auf ein neues Lebensjahr mit viel Bewegung zu Fuss, mit dem Velo, mit dem Ruderboot! Sie will uns nächste Woche auf der Wanderung um den See einen Tag lang begleiten – falls wir die kommenden Hitzetage gut überstehen. Auch Susanne schwärmt, wie ich, vom Bodensee. Sie schwimmt gerne in seinem Wasser und rudert abends hie und da sportlich übers Wasser im Doppelzweier.

Beim Einchecken bedienen wir uns im Hotel an der Rezeption mit frischen Äpfeln von der Insel Reichenau. Sie munden ausgezeichnet! Es müssen nicht immer Äpfel aus Mostindien sein.

Am Nachmittag spazieren Rosmarie und ich einmal mehr durch Konstanz. Bewusst peilen wir heute Gegenden und Orte in der Stadt an, die wir noch nie gesehen haben. So waren wir bis anhin nie im Stadtteil Petershausen, zum Beispiel im Archäologischen Landesmuseum. Früher stand hier bis zum grossen Brand um 1199 das Kloster St. Georg, das im Volksmund Petershausen genannt wurde. Wie der Petersdom in Rom jenseits des Tibers liegt, liess Bischof Gebhard II. sein neues Kloster jenseits des Seerheins auf der rechten Seite bauen. Dies unter dem Motto „Roma secunda“, das zweite Rom. Nach dem Brand wurde ein Teil wieder in Stand gesetzt. Mit der Säkularisation 1802 war endgültig fertig lustig, und 1832 riss man die mittelalterliche Kirche ab. Heute ahnen wir von der Klosteranlage knapp einige Domherrenhäuser. Jetzt befindet sich das Archäologische Landesmuseum in diesen Räumen. Ein Plakat macht auf die aktuelle Ausstellung aufmerksam: „Mittelalter am Bodensee. Wirtschaftsraum zwischen Alpen und Rheinfall. Dauer bis 8. Januar 2023“. Diese Ausstellung werde ich mir in kühleren Tagen mit Rosmarie anschauen. Stoff für einen weiteren Essay zum Bodensee.

Haus zum Thurgau
Zurück in der Altstadt, werfen wir einen Blick in die barockisierte, eher dunkle Klosterkirche der Dominikanerinnen von Zoffingen. Ihr Orden ist bis heute in der Stadt aktiv, eine grosse Leistung. Ebenfalls betreten wir zum ersten Mal die Anlage des Rathauses. Ursprünglich wurde es als Zunfthaus der Leinweber gebraucht. Wir staunen im Innenhof über italienische Renaissance und stille, romantische Ecken. Ein Gebäude des Ensembles nennt sich gross angeschrieben Haus zum Thurgau – dies aufgrund von gegenseitigen Beziehungen. Das aus mehreren historischen Gebäuden zusammengefügte Zentrum der Stadtverwaltung bietet einen facettenreichen Mix an Relikten sowie Baustilen verschiedenster Epochen. Überhaupt sind manche Fassaden der Innenstadt mit allerlei Namen versehen. Sie künden von alten Geschichten und Erzählungen. Gestern durchstreiften wir schmale Feuergassen und Wuostgräben, heute schauen wir hinter schöne Fassaden prächtiger Häuser. Dank einiger Zufälle sind uns bisher unbekannte Seiten der Stadt zugefallen. Konstanz zeigt seine Reichtümer vorne und vor allem versteckt mitten drin. Ich bin mit dieser Stadt noch nicht fertig, obwohl ich bereits morgen dem See entlang nach Bodman weitergehe Schliesslich will ich sehen, woher der Name Bodensee stammt.

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