Nun wartet der Berg in Teil III

Gehen ist eine Reise aus der Welt, die wir geschaffen haben,
in die Welt, die uns geschaffen hat. (Ilia Trojanow)

06. Oktober, 12.00: Der Countdown läuft. Teil III der Bodensee-Umwanderung startet in vier Tagen in Bregenz mit Etappe 21. Wenn es wie geplant läuft, wenn ich unter guten Wetterverhältnissen „laufen“, das heisst wandern kann, dürften Rosmarie und ich wohl am 20. Oktober mit Etappe 31 das Ziel in Arbon erreichen. Mein Blog wird das Gehen dokumentieren. Als Schlussbouquet sind am Ort meiner Kindheit – sie prägte meine ersten 14 Lebensjahre – noch zwei Tage Aufenthalt vorgesehen. So wird das Zitat von Ilia Trojanow Wirklichkeit. Den Weg der Wanderung rund um den Bodensee gehe ich Schritt für Schritt selber. Dabei schaffe ich mir zu Fuss, gelegentlich mit Schiff, Bus und Zug, grösstenteils neue Welten. Arbon jedoch ist jene Welt, die mich geschaffen hat. Und dort soll, um den Lebenskreis zu schliessen, nach meinem Tod ein Teil der Asche im Bodensee versinken.

Zuerst wartet nun der Berg. Zum ersten Mal in meinem Leben will ich bei Bregenz auf den Pfänder steigen. Er gilt eher als Hügelzug der Allgäuer Alpen mit seiner Höhe von 1062 m. Doch er ist der erste „Hausberg“ meiner Kindheit. Denn im Treppenhaus meines Elternhauses sah ich aus dem Fenster zwischen dem zweiten und dritten Stock direkt auf den Pfänder mit seiner grossen Antenne. Diese dient der Übertragung von Radio- und Fernsehprogrammen sowie dem öffentlichen Fernsprechverkehr, wie es auf österreichisch heisst. Der Pfänder bildet aber nur das Vorgeplänkel auf längere und steilere Touren hoch über dem Bodensee. Ich gehe von Walzenhausen via Heiden nach Trogen, über den Gäbris nach Gais, hinauf auf den Hohen Kasten. Die Königsetappe führt – falls Schnee kein Veto einlegt – von der Bollenwees via Meglisalp zur Wagenlücke und auf den Säntis (2502 m) und hinunter zur Schwägalp. Via Weissbad und Appenzell wandern wir nach Sankt Gallen. Die Stadt gehört mit dem Dom-Bezirk zum Weltkulturerbe, nicht das erste auf der Bodensee-Umwanderung. Von dort ist es durch das Steinachtobel nicht mehr weit auf dem Gallusweg hinunter an den Bodensee nach Steinach und Arbon.

Bereits das Planen meiner Wegstrecken von Bregenz bis Arbon löste in mir starke Emotionen aus: Heimatgefühle vor allem. Arbon – Sankt Gallen – Appenzell – den Alpstein verbinde ich mit zahlreichen Kinder- und Jugenderinnerungen. Beim Wandern werde ich auf sie zurückkommen. Bloss meinen Ostschweizer Dialekt kann ich mit Buchstaben nicht vermitteln … Die Landschaft in den Kantonen Thurgau, Sankt Gallen und Appenzell AI und AR ist mir vertraut geblieben, obwohl ich mich seit 50 Jahren wenig darin aufhielt. In den nächsten Tagen genügt es mir darum nicht, mich einfach nahe am Ufer des Bodensees zu bewegen. Das wäre der kürzeste Weg ab Bregenz. Ich „muss“ längere Etappen gehen. Weg vom Ufer, hinauf in die Höhe. Und doch mit Blicken zurück auf den See, über den See. Mein Gehen wird zwei Welten verbinden, jene, die ich in den letzten 70 Jahren geschaffen habe, mit jener, die mich geschaffen hat.

 

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Zusatzschlaufe auf dem Bodensee mit Zeitreisen

„Dieser alte Mann hatte alles gesehen.
Und das machte ihn jung.“ (Arno Camenisch)

03. August, 14.45 Uhr: Ich schaue über den See, drehe mich um die eigene Achse. Rund um mich Wasser. Ich stehe auf der Hohentwiel, einem Schaufelraddampfer. Was ich sehe, bedeutet meine kleine Welt im Jahr 2022, jedenfalls im April, im Juli und im Oktober. Fast das ganze Projekt meiner Bodensee-Wanderung kommt mit diesen Augen-Blicken ins Sichtfeld: die Skyline von Arbon, Rorschach und Goldach, den Rorschacherberg, die Höchi, hinten der Alpstein mit Hohem Kasten, Altmann und Säntis. Daneben ragt klein der Speer auf, Hausberg unserer Mutter. Ich sehe bis Konstanz und Meersburg, dazwischen liegt der Überlingersee. Kann ich mit dem Feldstecher Bodman ausmachen? Der Bodanrück ist unübersehbar. Immenstaad und Friedrichshafen liegen halblinks zur Rechten. Dahinter der Gehrenberg, ein langer Hügelzug. Genau vor einer Woche wanderten Rosmarie, meine Schwester Susanne und ich von Friedrichshafen durchs Eriskircher Ried nach Langenargen. Nun erkenne ich Schloss Monfort, rechts Nonnenhorn, Wasserburg, die Stadtinsel Lindau. Der Pfänder grüsst ganz rechts von weitem, an seinem Fuss Bregenz. Dort starten wir am 10. Oktober zu Fuss zum dritten und letzten Teil der Bodensee-Wanderung. Mitten auf dem Bodensee sehe ich in meine Kindheit zurück. Gleichzeitig sehe ich Orte, die ich soeben besuchte. Und neben mir sitzen Urban, Kurt und Susanne. Wir haben keine Ahnung, wann nur wir vier Geschwister das letzte Mal etwas miteinander unternahmen. Vermutlich in unserer Kindheit… lang ist’s her. Susanne hält den historischen Moment in einem Selfie fest. Heute schenken sie mir und sich selbst ein einzigartiges, ein wunderschönes Erlebnis! Nächstens werden sie nach und nach ebenfalls 70-jährig.

03. August, 8.02: „Die Welt hatte sich verändert. Es war Januar, und ich stand auf der Terrasse meiner Wohnung und schaute über den See.“ Im Zug von Bern nach Arbon lese ich im neuen Text Die Welt von Arno Camenisch. Er beginnt im Januar 2022, der Ich-Erzähler wird bald 44. Das „Ich“ denkt an 2003 zurück, „es war das Jahr, in dem sich alles änderte.“ Zudem erzählt „Ich“ vom Sommer 2001 und später vom 9-11. „Ich“ war 2001 dreiundzwanzig, hungrig und wollte diese Welt sehen. Er flog nach Hong Kong, weiter nach Australien, war ohne Plan ein Jahr unterwegs, um den Kopf durchzulüften. Ein Zufall, dass ich gerade heute Camenisch lese, Rosmarie hat das Buch gestern aus der Bieler Bibliothek mitgebracht. Ein Zufall, dass der Autor, von dem ich alle Bücher über seine Welt in der Surselva gelesen habe, eine (seine ?) Zeitreise zwischen den Lebensjahren 23 und 44 buchstabiert. Die Welt erzählt vom Weggehen, vom Aufbrechen aus diversen Zwängen. Und ich fahre als 70-jähriger in meine Kindheit zurück, aus der ich als 14-jähriger aufgebrochen war. Weg von Zuhause … nach Appenzell, ins sich ab 1966 öffnende Internat bei den Kapuzinern.

03. August, 8.40 Uhr: Der Zug nähert sich Frauenfeld, der Hauptstadt des Thurgau. Im Norden, über dem Seerücken, schwebt ein Zeppelin, nein, gleich zwei mache ich aus. Sie erinnern mich an Friedrichshafen, an das Seeufer. Ich bin unterwegs nach Arbon. Meine Geschwister teilten mir mit, dass wir uns um 10.30 Uhr am Bahnhof treffen werden. Das Tages-Programm kenne ich nicht. Die S 7 wird pünktlich eintreffen. Von Romanshorn bis Arbon höre ich meine Mitpassagiere Ostschweizer Dialekt reden. Meine Muttersprache. Sie tönt bekannt und doch fremd. Rede ich tatsächlich auch so? Camenisch schreibt gerade von 2003, von der Hitze, vom Jahrhundertsommer. Damals kletterte ich aufs Rimpfischhorn, der Fels war schneefrei, auf den Gletschern floss das Wasser in Strömen zu Tal. Mit dieser Besteigung wurde ich Matterhorn tauglich, der Hörnligrat interessierte mich jedoch nicht. Ob der Sommer 2022 der neue Jahrhundertsommer wird? Wohl bloss eine Fussnote in der Statistik. Am Matterhorn jedenfalls steigt ohne Schnee und Eispartien die Steinschlaggefahr.

03. August, 13.30 Uhr: Die Hohentwiel verlässt den Arboner Hafen. Sie ist das einzige noch betriebene Dampfschiff auf dem See, ein Jugendstil-Dampfschiff mit Stapellauf 1913. In Romanshorn werden wir für die Rückfahrt auf das Motorschiff Österreich wechseln, die Stilkönigin des Art Déco von 1928, es gilt als Museums-Schiff. Unser Ausflug wird als „Zeitreise“ beschrieben, 3 Stunden dauern und zweimal eine grosse Schlaufe in den See legen. Auf dem Schiff bemerke ich vor allem Senior:innen, ok, ein paar Kinder fahren auch mit. Nach einer ersten Schlaufe hinaus und hinein Richtung Romanshorn holt uns die MS Österreich ein. Ein kurzer Pas de deux, ein Schiffsrennen der Oldtimer. „Wir“ sind schneller. Das Publikum will unterhalten werden, mit Champagner und belegtem Brot da, Kaffee und Kuchen dort. Wir Geschwister erzählen einander von früher. Kennst du den? Nein. Weisst du noch? Sicher. Unsere vier Zeitreisen weisen andere Etappenorte auf. Jede:r hat ein schönes Stück kleiner und grosser Welten erkundet. Jetzt, 2022, dürfen alle vier das aktive Alter geniessen, ein grosses Geschenk. Ans fragile Alter denke ich nicht, ans abhängige auch nicht, ans senile Alter gar nicht. Die drei anderen Stufen werden, vielleicht, kommen – eines Tages. „Eines Tages werden wir sterben“, sagt Charly Brown zu Snoopy. „Ja“, antwortet Snoopy, „aber an allen anderen Tagen nicht.“

03. August, 16.30 Uhr: Willkommen in Arbon, so begrüsst uns und das Schiff eine alte Tafel an der Hafeneinfahrt. Willkommen zurück in meiner Kindheit. Willkommen zurück am Startort und am Zielort meiner Bodensee-Wanderung 2022. Wir vier Geschwister schlecken noch Glacé auf der Seepromenade im Schatten, ganz nahe am Wasser der Arboner Bucht. Draussen zwischen Springbrunnen und einem Kunstwerk wird, so mein Wunsch, ein Teil meiner Asche in den Bodensee gestreut werden. Wenn meine persönliche Zeitreise die letzte Station erreicht haben wird. Und mein Leben quer durch die Welt eines Tages zu Ende gegangen sein wird. Jetzt, in der Gegenwart, heute Abend fahre ich nach Bern zurück. Mit Rosmarie freue ich mich auf weitere Reisen, Wanderungen,  Velotouren, Exkursionen, Expeditionen , Zusatzschlaufen – falls sie möglich sein werden.

03. August, 19.30 Uhr: Der Zug fährt bei Olten vorbei. Ich habe Die Welt von Arno Camenisch soeben fertig gelesen. Darin mischen sich Zeitreisen und Erinnerungen. So heisst es auf Seite 38 von Hernandez, einem Matrosen aus Esmeraldas: „Seine Reisen über die Meere dieser Welt verliehen ihm diese Jugendlichkeit in den Augen. Ich mochte ihn. Dieser alte Mann hatte alles gesehen. Und das machte ihn jung. Und wenn er da sass vor seinem Laden, war er auf Reisen, als würde er denken, im Geiste sind wir frei.“

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Zwischenbilanz von Teil II der Bodensee-Wanderung

Fischer und Forscher:innen stellen im Bodensee
Millionen von Quagga-Muscheln und Stichlingen fest.

01. August, 15.00 Uhr: Mein Plan: zu Fuss den Bodensee umwandern. Im zweiten Teil, vom 17. bis 31. Juli, wollten wir auf der deutschen Seite von Konstanz um den Überlingersee herum via Überlingen und Meersburg bis Lindau gehen, eventuell sogar bis Bregenz. Wie es mit Plänen so geht, im Vorfeld scheint alles klar und einfach zu sein. Die Realität ist stärker – und anders.

Ab Mitte Juli ging ich in früheren Jahren z‘Berg, hie und da hoch hinauf auf Viertausender. Im Sommer 2022 sind Touren auf die Jungfrau, aufs Weissmies, auf Castor und Pollux nicht (mehr) möglich. Zu wenig Schnee, zu viel glattes Eis, zu viele offene Gletscherspalten. Bergsteigen wird komplizierter und gefährlicher. Fels- und Eisabbrüche drohen, Schneebrücken sind schon am Mittag viel zu weich. Ist eine Bodensee-Wanderung harmloser? Nicht in diesem Jahr. Auch im Flachland erleben wir eine Hitzewelle um die andere. Temperaturen steigen über 35 Grad, Niederschläge sind nicht in Sicht. Es wird gewarnt vor sportlichen Tätigkeiten draussen. So bauen wir am 24. und 25. Juli hitzefreie Ruhetage zuhause ein. Unsere Planung wurde zudem erschwert von ausgebuchten Hotels um den Bodensee. Ferienzeit, Urlaub machen manche Leute. Wir können nicht dort übernachten, wo wir Etappenorte vorsahen. Zum Glück gibt es im Juli das 9-Euro-Ticket der Deutschen Bahn. Damit können wir einige Strecken überbrücken. So schlafen wir in Überlingen wie Friedrichshafen mehrere Nächte. Und in Bregenz laufen die Festspiele, da fanden sich keine freien Hotelzimmer. Also wird Lindau Endstation von Teil II.

Am heissesten Tag, am 19. Juli, wandere ich nicht wie vorgesehen von Konstanz dem Bodanrück entlang nach Bodman. Auf diesen Streckenabschnitt habe ich mich zwar gefreut, aber die Hitze lässt die lange Wanderzeit nicht zu. Vernunft kommt vor Sturheit. Am 20. Juli kürzen wir ebenfalls ab. Mein Rhythmus wird in der Hitze ein ganz anderer. Immerhin haben wir mehr Zeit für Pausen, mehr Zeit zum Schreiben.

Genossen habe ich den 17. Juli in Konstanz. Am Geburtstag durfte ich gleich die meisten meiner Lieblingstätigkeiten ausleben: Zusammensein mit Familie und Freunden – Kontakt zu vier Enkelkinder – wandern bei der Stadtführung – kulturelle Entdeckungen „hinter den Kulissen“ – lesen von Hintergrundinfos – schreiben für die Webseite. Nur das Velofahren fehlte… „Nichts ist vollkommen“, wie eine Philosophin meint.

Quagga-Muscheln lassen Felchen verhungern
Ich höre Stimmen, die in meinem Onlinemagazin die Gegenwart vermissen. Also: Am 30. Juli war auf Radio SRF 2 Kultur das Wissenschaftsmagazin zu hören. Sein Thema: Der grosse Wandel der Schweizer Seen. Die Reportage von Christian Vonarburg erzählte vom Bodensee, von Quagga-Muscheln und Stichlingen. Fischer und Forscher:innen stellen fest, dass sich seit 2016 invasive Quagga-Muscheln, sie stammen aus dem Schwarzen Meer, explosionsartig vermehren und den See rasch zuwachsen. Sie fressen u.a. den Felchen das Plankton weg. Darum geht die Zahl gefischter Felchen stark zurück. Überhaupt verändere sich dadurch die Artenvielalt. Die bis 4 cm grossen Muscheln verstopfen auch Trinkwasserfassungen. Sie vermehren sich x millionenfach rasant bis in 180 m Tiefe und wachsen auch im Schlamm. Weil heute der Bodensee zu sauber ist, weist er in der Tiefe wenig Sauerstoff aus, schlechte Nährstoffwerte und zu wenig Phosphor. Neben den Quagga-Muscheln vermehrt sich der Dreistachelige Stichling, der ebenfalls Plankton fresse, ungeheuer stark. 80 bis 90 Prozent des Fischbestandes im See seien schon Stichlinge! Die Situation sei dramatisch, eine richtige Plage. „Die machen alles kaputt“, sagen Fischer. Der Fisch kann 6 bis 8 cm lang werden. Ein Fazit: Das Ökosystem im Bodensee wandle sich sehr schnell. Dazu sei das Oberflächenwasser um 1,5 Grad gestiegen. Keine guten Aussichten für Felchen und deren Konsument:innen. Auch die Zahl der Fischer werde am Bodensee rasch zurückgehen, junge gebe es keine. Was kommt auf den Bodensee zu? In den nächsten Tagen dürfte er wegen herrschender Trockenheit und kleiner Schneeschmelze den niedrigsten Wasserstand seit Messbeginn erreichen. Und sich weiter erwärmen. Quagga-Muscheln und Stichlinge ärgern sich darüber nicht, sie fressen und vermehren sich ungebremst weiter.

Weiter gehe ich mit Rosmarie am 10. Oktober ab Bregenz ungebremst auf Teil III der Bodensee-Wanderung.

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Etappe 20 auf der Insel von Lindau

Nach Wanderungen in der Sommerhitze
sind wir nun reif für die tolle Insel im See.

28. Juli, 10.30 Uhr: Der Bayerische Löwe begrüsst uns in voller Grösse bei der Hafeneinfahrt von Lindau auf der Insel. Rundherum fliesst Wasser. Lindau im Bodensee – drei Worte stehen für unendlich viele Geschichten der Insel- und Gartenstadt. Bis ins 9. Jahrhundert lassen sich Erzählungen und Spuren zurückverfolgen (mehr in der Rubrik Orte). Dank warmem Sonnenschein und zahlreichen sommerlich gestimmten Ausflügler:innen fühlen wir uns eher am Mittel- als am Schwäbischen Meer. Auf dem Touristenbüro frage ich interessiert nach historischen Unterlagen – und bekomme einen „alten“ Stadtführer von 2016 geschenkt. Der neue liegt noch nicht vor. Wir unternehmen mit dem Buch in der Hand einen Spaziergang rund um die Insel an 21 Sehenswürdigkeiten vorbei und mitten durch grosse, erholsame Stadtgärten hindurch. Und wir schauen immer wieder hinüber und hinauf zum Pfänder ob Bregenz. Dort wird Teil III der Bodensee-Wanderung am 10. Oktober 2022 starten.

Rosmarie macht vom Lindaviabrunnen Fotos. Lindavia gilt als Stadtgöttin und Beschützerin, sie hält einen Lindenzweig in der Hand. Die vier Beckenfiguren symbolisieren Schifffahrt, Fischerei, Wein- sowie Ackerbau. Der Lindenbaum prägt auch das Stadtwappen. Die Gerberschanze am See mit ihrem Gässchen erhielt den Namen von der hier arbeitenden Gerberzunft, entlang des Sees legten die Gerber:innen ihre Felle zum Trocknen aus. Nach einer prächtigen Gartenanlage können wir auf dem Nobelpreisträger:innensteg über dem Wasser meditieren und grossartige Leistungen der Wissenschaften anerkennen. Seit 1951 treffen sich in Lindau ausgezeichnete Fachleute zu ihrer jährlichen Tagung. Die seit 1528 reformierte Kirche St. Stephan, erbaut im 12. Jahrhundert in romanischem Stil und um 1780 im Stil des Spätbarocks umgestaltet, betreten wir um 12 Uhr. Gerade beginnt eine „Mittagsinsel“ mit Wort und Musik. Wir lassen „an unserer Seele kratzen“ und die Ohren mit Gitarren- und Querflötenklängen verwöhnen. Unsere Augen werden nebenan – zwei Konfessionen, zwei Kulturen – im katholischen Münster „Unserer lieben Frau“ verzaubert. Dessen Ursprünge reichen bis ins Jahr 810 zurück. Aus dem einstmaligen Benediktinerinnenkloster wurde später für eine Epoche von 1000 Jahren die Kirche des Kanonissenstifts, ein reichsfürstliches, freiweltliches Frauenstift. Der heutige Bau ist nach dem Stadtbrand von 1728 zwischen 1748 und 1752 im Stil des Barock neu errichtet worden. Auf dem Paradiesplatz servieren uns – nein, nicht Adam und Eva – aufgestellte Mitarbeiter:innen eines Restaurants ein feines Mittagessen, dazu trinke ich bayerisches Bier (wer zu viel davon trinkt, wird höchstens weiss-blau). Neben dem Paradies(platz) duckt sich mitten in der Altstadt der massige Bau der Peterskirche. Sie zählt mit über 1‘000 Jahren Geschichte zu den ältesten Bauwerken im Bodenseeraum. Heute ist sie eine Kriegsgedächtnisstätte. Wertvoll sind an einer Innenwand zudem Fresken der „Lindauer Passion“, sie werden Hans Holbein dem Älteren (1465 bis 1524) zugeschrieben.

Die 20. und letzte Etappe von Teil II unserer Bodensee-Wanderung, gestartet in Konstanz am 17. Juli, findet in Lindau im Bodensee einen würdigen Abschluss mitten im pulsierenden Strom von Kinderwagen, E-Bikes, Hunden, schwimmenden, sonnenbadenden und spazierenden Menschen jeglichen Alters. Und solchen, die in einem der unzähligen Cafés oder Restaurants sitzen und plaudern.

Auf der Rückfahrt nach Friedrichshafen ins Stammhotel für drei Nächte geniessen wir in der RB 93 – der kurze Triebwagen war mitten im Sommer als Solist (!) unterwegs – das Leben in vollen Zügen. Morgen werden wir mit der Personen-, Velo- und Autofähre über den See nach Romanshorn schippern. Und mit den im Vergleich mit der DB sehr pünktlichen SBB wieder zurück nach Bern fahren.

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