Etappe 23 – Dichter Nebel erzählt und erzählt

Einsicht ist noch wichtiger
als Aussicht

12. Oktober, 10.00 Uhr: Dichter Nebel begrüsst uns in Walzenhausen. Er lädt uns sogleich zu einer Dichterlesung ein. Befinden wir uns schon auf der Kulturspur Appenzellerland? Im Chastenloch sollte sie eigentlich für uns beginnen. Der Dichter liest, indem er eine Idee von Willy Bieger aufgreift:

Bodensee

Du blaust mir in die Seele / von früher Kindheit an
soweit zurück ich zähle / noch eh ich Texte sann

Es gibt so viele Arten / an Lebenslust und Weh
trag bei mir Wanderkarten / rings um den Bodensee

Was nützen heute Wanderkarten? Dichter Nebel hat gut reden. Wir hingegen sehen fast nichts, bloss knapp die Hände vor unseren Augen. Zum Glück fährt das Postauto weiter bis Heiden. Eigentlich wollten wir heute ab Walzenhausen auf einem coupierten Höhenweg über dem Bodensee via Heiden nach Trogen wandern. Er wird als Nummer 3 bezeichnet, als Alpenpanoramaweg. In Heiden, dem Biedermeierdorf hoch über dem See, trinken wir Kaffee. Der Bergführer diskutiert Varianten mit seiner Gästin. Ab hier wandern? Über den Kaien via Rehetobel nach Trogen? Wir kennen den Weg von früher. So beschliesst der Bergführer, noch ein Stück Füsse schonend Postauto zu fahren. Versprochen: nur bis Rehetobel! Die Gästin ist mit jeder Entscheidung des Wanderleiters einverstanden. Sie kennt die Regeln.

12. Oktober, 11.20 Uhr: Welch Wunder: in Rehetobel scheint die Sonne vom blauen Himmel. Rucksäcke auf und los geht es.

12. Oktober, 11.25 Uhr: Dichter Nebel – du schon wieder?! – holt uns nach wenigen Schritten hinunter Richtung Lobenschwendi ein. Immerhin lässt er jetzt unaufhörlich Kuhglocken erklingen. Die meisten Kühe zeigen sich nur konturenhaft, eine poetische Landschaft in Appenzell Ausserrhoden. Auf einem Bänkli am Weg lese ich den Spruch: „Die Einsicht ist noch wichtiger als die Aussicht“. Recht hat er. Dichter Nebel kennt seine Pappenheimer:innen. Ein sehr steiler Abstieg lässt unser Niveau rasch sinken. Bald hören wir Wasser rauschen. Im Chastenloch erwartet uns eine Überraschung: der Wildbach, der übermütig zu Tale schiesst, heisst Goldach, Gold-Ach. Der Beizer, bei dem wir einkehren, erzählt, dass er den ganzen Bach von der Quelle weiter oben bis zur Mündung in den Bodensee bei Goldach vor Jahren zu Fuss begangen habe, im Wasser! Die Goldacherin aus Bern staunt. Der Goldach entlang gehen, das wäre eine Herausforderung. Im Chastenloch wirkt die Ach wirklich noch als Bergbach. Unser Weg – jetzt als Alpenpanoramaweg UND Kulturspur Appenzellerland beschriftet – führt nun steil bergwärts hinauf nach Trogen zum historischen Hauptort von Appenzell Ausserrhoden. Der leere Landsgemeindeplatz empfängt uns still. Das letzte Mal fand an diesem Ort die traditionelle Versammlung 1996 statt. Wir befinden uns 904 m über Meer. Von der Sonne ist nichts zu sehen. Dichter Nebel regiert. Er erzählt und erzählt seine Geschichten. Ob wir morgen auf dem Gäbris, 1250 m hoch, der Sonne richtig begegnen werden?

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert