Zu Fuss kann man besser schauen. (Paul Klee)
10. Oktober, 11.00 Uhr: Ganz im Osten des Bodensees, in Bregenz, starten wir zu Teil III unseres Wanderns um den See. Die Stadt liegt auf 398 m über Meer und zählt rund 30‘000 Einwohner:innen. Menschen aus 97 Nationen wohnen hier, dazu 300 Lachmöven. 7 Millionen Liter Trinkwasser stammen pro Jahr aus dem Mehrerauer Wald. Wald macht 20 Prozent der Fläche von Bregenz aus. Von der Uferpromenade am See ist das Westufer nicht zu sehen, die Erdkrümmung von 41 Metern lässt es nicht zu. Dafür blicken wir zum Pfänder hinauf, den wir morgen besteigen wollen.
Als erste Handlung deponieren wir die schweren Rucksäcke im Hotel. Mit kleinem Rucksack steuern wir die Touristeninformation an und holen einen Stadtplan. Auf Spuren der Stadtgeschichte starten wir einen gemütlichen Spaziergang. Wir gehen auf der Maurachgasse in die Oberstadt hinauf. Der Martinsturm, das Wahrzeichen von Bregenz, lässt uns ein erstes Mal staunen, er wurde 1601 erbaut und gilt als erster Barockbau am Bodensee. Seine Kuppel ist die grösste Turmzwiebel Mitteleuropas. Am Ehre-Guta-Platz lesen wir von Guta aus dem 15. Jahrhundert. Die Sage erzählt, dass sie 1406 durch Spionage von einem bevorstehenden Angriff der Appenzeller erfuhr und die Stadt schnell hoch zu Pferd warnte! Die Nachtwächter riefen fortan im Winter abends um 9 Uhr „Ehreguta!“ zu ihrem Andenken. Das Gefangenenhaus neben dem Platz erzählt eine traurige Geschichte: hier wurden im Zweiten Weltkrieg Juden und Jüdinnen gefangen gehalten, bevor sie in ein Konzentrationslager kamen und dort getötet wurden. An mittelalterlichen Mauern führt unser Weg vorbei am Alten Rathaus, erbaut 1662 als grösster Fachwerkbau der Stadt, und am Deuring Schlössle, ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert. Durch kopfsteingepflasterte Gassen auf der Meissnerstiege spazieren wir hinab und über den Thalbach zur Altstadt hinaus. Das Kloster Thalbach und die Stadtpfarrkirche St. Gallus auf dem Hügel nebenan sind unsere nächsten Stationen, verbunden durch die Ernst-Volkmann-Stiege. Oben angekommen, sehen wir auf den Bodensee und zum gegenüberliegenden markanten Eckturm des Deuring Schlössles. Wir besichtigen die Gallus-Kirche, erbaut 1097. Von ihr erzähle ich mehr in der Rubrik Orte unter Bregenz. Die Kirchstrasse mit kleinen Läden und Cafés, selbstverständlich geniessen wir zum Kaffee ein süsses Stuck Kuchen, bildet die letzte Etappe auf dem Rückweg zum Leutbühel. Zu Fuss kann man besser schauen – zwei kleine „Dinge“ fallen uns an der Kirchstrasse noch auf: eine Statue von Bischof Gebhard II. (siehe unter Konstanz und Bregenz in der Rubrik Orte) sowie das schmalste Haus Europas – seine „Breite“: 57 cm. Verdanken wir es Guta, dass die Oberstadt, in der fast jedes Haus ein Fotomotiv darstellt, als Ort der Ruhe erhalten blieb und nicht von mittelalterlichen Horden geschliffen wurde? Das ist allemal einen Platz und einen nach ihr benannten Brunnen wert. Schliesslich entwickelte sich die Oberstadt mehr und mehr zu einem Kleinod nicht nur für Einheimische, sondern auch für Tourist:innen, die an Geschichte interessiert sind. Ein Juwel, das wir bisher nicht kannten! Wir mussten mit den Füssen schauen gehen.
In der Nähe unseres Hotels befindet sich das Zisterzienserkloster Wettingen-Mehrerau. Was es mit Wettingen im Kanton Aargau zu tun hat, lesen Sie unter Orte nach den Texten zu Bregenz und Pfänder. Das Kloster liegt am Fahrradweg um den Bodensee. Bei unserer letzten Velotour sausten wir Kulturbanausen an ihm vorbei. Heute holen wir Verpasstes nach. Der Innenraum der Klosterkirche wirkt modern, einfach, ansprechend. Von der Abtei Mehrerau habe ich schon viel gehört, nur eine rasche Besichtigung der riesigen Anlage ist heute nicht möglich. Immerhin informiert mich ein Klosterführer ausführlich.
Dem Seeufer entlang kehren wir zum Hotel zurück. Ein angenehmer Herbsttag geht langsam zu Ende, er zeigte uns Bregenz aus ganz neuer Perspektive und offenbarte tatsächlich ein Mehr am See. So spielt es keine Rolle, dass die Bregenzer Festspiele vorbei sind und das KUB, das Kunsthaus Bregenz, am Montag geschlossen ist.