Etappe 28 von Appenzell nach Sankt Gallen

Gedankengänge – ich gehe
durch Landschaften und Texte.

18. Oktober, 8.00 Uhr: Übernachtet haben wir in Appenzell im Hotel Schwarzer Adler. Das Haus steht seit 1560, damals als Oberegger Haus bekannt, Oberegg ist eine Exklave von Innerrhoden. Im Hotelzimmer lesen wir eine bemerkenswerte Notiz: „Appenzeller Leitungswasser ist ein Geschenk der Natur, Quellwasser aus dem Alpstein, reich an Kalzium, Natrium und Magnesium.“ Prost!

18. Oktober, 9.45 Uhr: Mein Bruder Urban kommt nach Appenzell an die Brücke über die Sitter bei der katholischen Kirche St. Mauritius. Er engagiert sich heute wiederum als Sherpa für Rosmarie sowie als Wanderleiter nach Sankt Gallen. Weil er in Sankt Gallen und in Appenzell wohnte, ist er prädestiniert für Etappe 28. Er erzählt einiges zu Land und Leuten der Gegend. Und bestimmt, wo wir entlang gehen. Ich stelle mir vor, hauptsächlich der Sitter entlang. Kurz vor Schlatt ist vom Fluss nichts zu sehen. Mit 19 Prozent Steigung wandern wir 20 Minuten aufwärts. Die Aussicht zurück auf Alpstein, Kronberg und Hundwiler Höhe wird Schritt für Schritt eindrücklicher. Bald folgt der zweite knackige Aufstieg. So erkunden wir Appenzell Innerrhoden auf mir bisher unbekannten Routen rauf und runter, rauf und runter. Immerhin empfangen uns bei Abstiegen kühlende Wälder. Doch bereits steigt der Wanderweg wieder an. Bei einem Bauernhof, wunderschön auf einer Anhöhe gelegen, quert er eine stark zertretene Kuhweide. Mein Rucksack drückt. Mein Gleichgewicht vergisst seine Funktion. Ich liege plötzlich am Boden, die Adduktoren zwicken. Urban erbarmt sich meiner. Er übernimmt meinen Rucksack, während Rosmarie wieder den ihren trägt. Ich werde mit dem leichtesten Gepäckstück versehen. So weit sind wir nun also … Soll ich in Zukunft vermehrt durch Texte „gehen“ statt durch Landschaften?

18. Oktober, 12.45: In Haslen ist fertig lustig. Nach der Mittagspause an einem Brunnen – die Beizen sind alle zu wegen Wirtesonntag – schnalle ich meinen Rucksack wieder selber auf. Bitte sehr, wo sind wir denn! Steil runter geht’s wieder einmal an die Sitter, wo der wilde Rotbach in sie mündet. Logisch, dass unsere Route sofort wieder steil hinauf führt, diesmal zur Strafanstalt Gmünden, dem kantonalen Gefängnis. Kurz vorher können wir einen Blick auf das fast versteckte Kloster Wonnenstein werfen. Der Landwirtschaftsbetrieb gehört zu Ausserrhoden, das Kloster selber jedoch als Exklave zu Innerrhoden, eine uralte Regelung. Gmünden und Wonnenstein in unmittelbarer Nachbarschaft: zwei geschlossene Systeme hinter dicken Mauern, zwei unterschiedliche Welten.

18. Oktober, 13.45 Uhr: Eine Beiz am Weg hinauf nach Teufen hat tatsächlich offen. Möhl-Saft, was Kleines zum Essen und Kaffee tun gut. Weniger erfreulich ist die Aussage des Wirtes, dass er hier fast nichts verdiene mit seinem Restaurant, sein Stundenlohn betrage knapp 1 Franken! Und er arbeite 7 Tage pro Woche. Nochmals eine ganz andere Welt. Und wie leben wohl Bäuerinnen und Bauern in den Streusiedlungen des Appenzellerlandes? Ich weiss es nicht. Beim Restaurant könnten wir Postauto Nr. 180 nach Sankt Gallen besteigen. Machen wir selbstverständlich nicht, wir winken dem Chauffeur freundlich zu. Er fährt weiter.

18. Oktober, 15.10 Uhr: Unsere Tageswanderung endet kurz vor der Stadtgrenze von Sankt Gallen bei der Station Lustmühle der Appenzellerbahnen. In wenigen Minuten gelangen wir ins viel tiefer gelegene Stadtzentrum. Einige Daten der heutigen Tour ab Appenzell: 15 km Distanz – Zeit: 4 Stunden 15 Minuten – Höhenmeter 531 – Abstiege 512 m. Ich habe mich schwer getäuscht mit meiner Annahme, von Appenzell nach Sankt Gallen gehe es fast ausschliesslich runter. Das trifft nur für die Sitter zu. Und diese fliesst im Sittertobel durch Stadtgebiet Richtung Wittenbach und Bischofszell.

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