Etappe 26 von der Bollenwees via Widderalpsattel nach Wasserauen

Eroberungsdrang versus Erkenntnisdrang.
Statt einen Gipfel besteigen,
eine Kora um den Bodensee machen.

16. Oktober, 08.45 Uhr: So sieht das markante Profil heute aus: Bollenwees (1471) – Abzweigung Widderalp (1407) – Widderalpsattel (1856) – Meglisalp (1517) – Seealpsee (1143) – Wasserauen (870). Die Wetterprognosen sagen einen tollen Wandertag voraus. Schon beim Frühstück im Berggasthaus strahlt die Sonne den Gipfel des Altmanns morgenrötlich an. Kitsch pur, wenn es nicht Natur wäre.

16. Oktober, 10.30 Uhr: Den höchsten Punkt meiner Bodensee-Umwanderung erreiche ich auf dem Widderalpsattel 1856 m über Meer. Zur Erinnerung: der Bodensee liegt auf 398 m. Kurz nach dem Widderalpsattel ermöglicht ein schmaler Durchblick zwischen zwei Felsformationen den Blick auf einen ganz kleinen Ausschnitt Bodensee in rund 30 km Entfernung. Innerlich freue ich mich, es ist geschafft! Äusserlich tauchen Zweifel auf. Jetzt, wo ich dem Säntisgipfel nahe bin und ihn fotografiere, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nachher auch den Aufstieg von der Meglisalp auf den Säntis schaffen werde, immerhin nochmals tausend Meter Höhendifferenz. Ich habe mir heute wohl zu viel zugemutet mit zwei happigen Steigungen. Darum mache ich eine Programmänderung.

Unterwegs traf ich Melvin (9-jährig) und Winni ( 6-jährig). Die beiden Buben rannten (!) den Eltern bergwärts davon. Wie zwei junge Berggeissen nahmen sie die Direttissima Richtung Sattel. Ihnen gefalle es, wenn sie Herausforderungen bewältigen können, erzählen mir deren Eltern stolz. Auf dem Sattel, auf dem geografischen Höhepunkt meiner sechswöchigen Wanderung, telefoniere ich mit Rosmarie. Sie findet es toll, wenn ich nicht übertreibe. Ich hingegen denke an 70 Jahre Lebenszeit, an körperliche Gebresten, an die tägliche Ration Medikamente, an zu wenig Training in diesem Jahr – und bin zufrieden und dankbar für destotrotz nicht so schlechte körperliche Übungen. So schaue ich cool zum Altmann und zum Säntis-Gipfel hinüber. Mir fällt eine Weisheit aus dem Tibet ein, die ich oben im Vorspann zitiere und leicht abwandle. Statt des berühmten Kailash, ein für vier Religionen heiliger Berg auf der Hochebene, der auf 52 km meditativ umrundet wird, schreibe ich „Bodensee“. Eine Bergspitze erobern muss ich nicht mehr, meditieren und Erkenntnis-weise werden schon, mit den Füssen auf dem Boden.

16. Oktober, 13.45 Uhr: Nach fünf Stunden Wanderung mit abgeändertem Programm treffe ich unten in Wasserauen ein. Auf der Meglisalp, beim Seealpsee, auf dem Bergweg dazwischen wie auf dem Strässchen von Wasserauen hinauf zum See tummeln sich hunderte von Menschen. Sie alle, klein und gross, jung und alt, geniessen heute Sonntag etwas Bergsonne, bewegen ihre Körper hinauf und hinunter. Am Seealpsee schaue ich nochmals hinauf zum Altmann links, zur Rossmad in der Mitte im Vordergrund und zum Säntis hinten rechts.

Die Parkplätze in Wasserauen sind überfüllt. Mit den Appenzeller Bahnen kommt Rosmarie, um mich hier hinten im Appenzellischen abzuholen. Sie bringt aus Bern neue Wäsche für mich und die aktuelle SonntagsZeitung mit (die ich nicht lesen werde). Miteinander fahren wir mit Bahn und Postauto zu einem speziellen Nachtlager hinauf auf die Schwägalp. Im Hotel entspannen wir uns ausgiebig im Wellness-Bereich. Klar, dass mir anschliessend beim Nachtessen ein grosses dunkles Appenzeller Bier sehr gut mundet.

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